Das lange Warten – Eltern eines Kindes mit Diabetes vor der Entdeckung des Insulins
Es war eine Zeit, in der die Medizin noch viele Rätsel nicht lösen konnte – eine Zeit, in der der Ausbruch einer Krankheit oft einer Todesanzeige gleichkam. Wer Anfang des 20. Jahrhunderts ein Kind hatte, das an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankte, musste einen Weg gehen, den keine Mutter, kein Vater jemals gehen möchte: den stillen, hilflosen Abschied vom eigenen Kind – bei vollem Bewusstsein.
Die Anzeichen kamen oft schleichend: Das Kind trank ungewöhnlich viel Wasser, war dauernd müde, verlor trotz guten Appetits rapide an Gewicht. Erst glaubte man an eine harmlose Krankheit, vielleicht ein Fieber, das vorübergehen würde. Doch bald stellte der Landarzt – mit ernster Miene und wenig Hoffnung – die gefürchtete Diagnose: Zuckerkrankheit. Damals ein Schicksal ohne Hoffnung.
Was folgte, war ein Kampf, nicht gegen die Krankheit – denn es gab kein Heilmittel –, sondern gegen den drohenden körperlichen Verfall. Eltern wurden gezwungen, ihre Kinder auf Hungerdiät zu setzen. Tag für Tag mussten sie zusehen, wie ihre Tochter oder ihr Sohn langsam abmagerte, die Muskeln verschwanden, das Gesicht eingefallen wirkte, das Lächeln seltener wurde. Das Kind litt an quälendem Durst und war dennoch geschwächt vom ständigen Mangel an Nahrung. Das Lebenslicht flackerte – aber es durfte nicht verlöschen, nicht jetzt, nicht so.
Die Hilflosigkeit war unerträglich. Ein Vater, stark wie ein Fels in der Not, fand keine Kraft mehr. Die Mutter, die einst jeden Kratzer ihres Kindes versorgte, war machtlos gegen dieses unsichtbare Gift im Blut. Viele Familien suchten Ärzte, Naturheiler, Gebete – nichts half. Der letzte Trost waren warme Decken, Lieder am Bett und leise Tränen bei Kerzenschein.
Wenn der letzte Tag kam, war das Kind oft kaum noch ansprechbar – verwirrt vom zu hohen Blutzucker, vom Hunger und der Auszehrung. Und wenn es starb, dann oft in den Armen der Eltern, die sich an die letzte Hoffnung klammerten, dass irgendwo, irgendwann ein Mittel gefunden würde.
Diese Hoffnung – so fern sie damals schien – wurde nur wenige Jahre später Wirklichkeit. Die Entdeckung des Insulins im Jahr 1921 rettete nicht nur Leben, sondern heilte auch gebrochene Herzen. Doch den Schmerz jener Eltern, die vor dieser Zeit ihr Kind verloren, können wir bis heute nur erahnen – und sollten ihn niemals vergessen.
Die Entdeckung des Insulins – Ein Triumph der Beharrlichkeit
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Diabetes mellitus, insbesondere der Typ-1-Diabetes, ein sicheres Todesurteil. Wer daran erkrankte, besonders Kinder, konnte nur durch eine strenge Hungerdiät das Leben um wenige Monate verlängern – ein elender Kampf gegen den Verfall des eigenen Körpers. Doch im Jahr 1921 sollte sich das Blatt auf dramatische Weise wenden.
Im altehrwürdigen Labor der Universität Toronto, eingebettet in den klassischen Geist wissenschaftlicher Neugier und ethischer Verantwortung, begann ein junger kanadischer Chirurg namens Frederick Banting ein gewagtes Experiment. Zusammen mit dem Medizinstudenten Charles Best, einem jungen Mann mit scharfem Verstand und echtem Pioniergeist, wollte er das Rätsel um das fehlende „Stoffwechsel-Hormon“ lüften, das bei Diabetikern nicht mehr im Körper gebildet wurde.
Banting hatte eine kühne Idee: Wenn man die Bauchspeicheldrüse eines Hundes so behandeln würde, dass ihre Verdauungssäfte ausgeschaltet, die hormonbildenden Teile aber erhalten blieben, könnte man vielleicht ein Extrakt gewinnen – das „geheime Hormon“, das den Zuckerstoffwechsel reguliert. Heute wissen wir: Es war Insulin.
Tag für Tag arbeiteten Banting und Best unter einfachsten Bedingungen – oft schliefen sie im Labor, betrieben ihre Experimente mit selbstgebauten Apparaturen und versorgten ihre Versuchstiere eigenhändig. Ihre Entschlossenheit war unbeirrbar. Und tatsächlich: Sie extrahierten eine Substanz aus der Bauchspeicheldrüse, injizierten sie einem zuckerkranken Hund – und der Blutzuckerspiegel sank. Das Tier überlebte. Ein Durchbruch!
Doch damit war es nicht getan. Erst mit Hilfe des erfahrenen Biochemikers James Collip, der das Rohinsulin reinigte und medizinisch nutzbar machte, konnte das Hormon erstmals sicher an Menschen verabreicht werden. Im Januar 1922 erhielt der 14-jährige Leonard Thompson, ein schwer kranker Diabetiker, die erste erfolgreiche Injektion mit gereinigtem Insulin – und er wurde gerettet. Es war, als hätte man ein Kind aus dem Grab zurückgeholt.
Ein Jahr später erhielten Banting und sein damaliger Vorgesetzter, John Macleod, den Nobelpreis für Medizin – nicht ohne Kontroversen, denn Banting bestand darauf, seinen Teil des Preises mit Best zu teilen, während Macleod seinen mit Collip teilte. Es war ein Akt der Anständigkeit, wie er früher selbstverständlich war.
Die Entdeckung des Insulins rettete Millionen Menschenleben und markiert einen Meilenstein der Medizin, entstanden aus harter Arbeit, Mut, und dem alten Geist der Wissenschaft im Dienste der Menschlichkeit. Man erinnerte sich wieder daran, dass Forscher einst nicht aus Ruhmsucht, sondern aus echter Berufung handelten – im Geiste des Fortschritts, getragen von Opferbereitschaft und Disziplin.