Israels zweite Front im Westjordanland
Das Westjordanland ist heute mehr als nur ein geografisches Territorium im Schatten des Nahostkonflikts – es ist ein Brennglas für die Frage nach Gerechtigkeit, Recht und politischer Moral. Was als „vorübergehende Besatzung“ nach dem Sechstagekrieg begann, hat sich in über fünf Jahrzehnten zu einer systematischen Kolonisierung entwickelt.
Die Siedlungen, die Israel im Westjordanland errichtet, breiten sich aus wie Metastasen: unaufhaltsam, zerstörerisch, unkontrolliert. Jede neue Siedlung frisst sich in das Gewebe palästinensischen Lebensraums, zerreißt Dörfer, blockiert Bewegungsfreiheit, nimmt Land und Wasser. Wie eine Krankheit, die den Organismus von innen zersetzt, zerschneidet dieses Wachstum die Aussicht auf einen eigenen, lebensfähigen palästinensischen Staat.
📊 Statistiken zum Westjordanland (Stand 2025)
- Gesamtfläche: ca. 5.640 km²
- Gesamtbevölkerung: ca. 4,2 Millionen Menschen
- Palästinensische Bevölkerung: ca. 2,75 Millionen (ca. 65%)
- Israelische Siedler: ca. 737.000 (ca. 17%)
- Palästinensisch kontrollierte Gebiete (Area A): ca. 18%
- Gemeinsam kontrollierte Gebiete (Area B): ca. 22%
- Israelisch kontrollierte Gebiete (Area C): ca. 60%
- Palästinenser getötet durch Siedler und IDF seit Oktober 2023: mindestens 870, darunter 177 Kinder
- Palästinenser verletzt durch Siedler und IDF seit Oktober 2023: über 6.700
Quellen: Al Jazeera, UNO OCHA
Dabei geht es längst nicht mehr um Sicherheit – das oft genutzte Argument Israels –, sondern um Macht und Kontrolle. Straßen, Checkpoints und Militärposten bilden ein Raster, das die Palästinenser wie Gefangene in ihrem eigenen Land einschnürt. Was die Weltgemeinschaft als völkerrechtswidrig verurteilt, wird im Alltag vor Ort zur bitteren Realität: Enklaven, Isolation, Hoffnungslosigkeit.
Israel selbst steht damit im Widerspruch zu den Werten, die es nach außen vertritt: Demokratie, Menschenrechte, westliche Rechtsstaatlichkeit. Wer gleichzeitig Freiheit predigt und Unterdrückung praktiziert, verliert moralische Glaubwürdigkeit. Die Besatzungspolitik im Westjordanland ist nicht nur eine Last für die Palästinenser – sie ist auch eine Hypothek für Israels eigene Zukunft.
Das Westjordanland ist so zur moralischen Front geworden – hier entscheidet sich nicht nur das Schicksal der Palästinenser, sondern auch die Glaubwürdigkeit Israels und der internationalen Ordnung. Solange die Siedlungen weiterwuchern, wie Metastasen, die den Organismus zerstören, bleibt der Konflikt unheilbar.
Die Wahl, die hier getroffen wird, ist klar: zwischen einer gerechten Koexistenz oder einer fortgesetzten Besatzung, die letztlich beide Völker vergiftet. Die Zeit arbeitet gegen die Hoffnung – und sie arbeitet im Schatten der Siedlungen.
Artikel 1: Angriff von Siedlern auf palästinensische Familie
In der Nähe von Ramallah attackierten bewaffnete Siedler eine palästinensische Familie, die gerade ihre Olivenernte einbringen wollte. Augenzeugen berichten, dass die Angreifer Steine warfen, Schüsse abgaben und mehrere Personen verletzten. Die israelische Armee griff nicht ein, obwohl sie vor Ort war. Menschenrechtsorganisationen sprechen von einem „gezielten Klima der Angst“.
Quelle: Haaretz, September 2025
Artikel 2: Palästinensisches Dorf in Brand gesetzt
Militante Siedler stürmten im Jordantal ein palästinensisches Dorf und setzten mehrere Häuser sowie Fahrzeuge in Brand. Zwei Bewohner kamen ums Leben, mindestens ein Dutzend wurde verletzt. Videos in sozialen Netzwerken zeigen schwer bewaffnete Männer, die unbehelligt agierten. Die UN verurteilte die Tat als „pogromartige Gewalt“.
Quelle: Al Jazeera, September 2025
Artikel 3: Palästinenser von Siedlern erschossen
In Hebron eröffneten Siedler das Feuer auf eine Gruppe palästinensischer Jugendlicher. Ein 19-Jähriger starb noch am Tatort, zwei weitere wurden schwer verletzt. Nach Angaben von B’Tselem, einer israelischen Menschenrechtsorganisation, kam es in den letzten Monaten vermehrt zu solchen gezielten Tötungen. Internationale Beobachter sprechen von einer „Politik der Straflosigkeit“.
Quelle: The Guardian, September 2025
Aufruf an die deutsche Politik
Deutschland hat eine besondere Verantwortung. Diese darf nicht länger darin bestehen, die Augen zu verschließen und jede israelische Regierungspolitik reflexhaft abzunicken. Wer sich zur Menschlichkeit bekennt, muss klare rote Linien ziehen: Keine Waffenlieferungen an eine Regierung, die Völkerrecht bricht. Keine politische Rückendeckung für eine Praxis, die mit demokratischen Werten unvereinbar ist.
Es ist Zeit, dass die deutsche Politik ihrer historischen Verantwortung gerecht wird – nicht durch blindes Wegsehen, sondern durch eine klare Haltung. Wer Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte ernst nimmt, darf nicht schweigen, wenn diese im Westjordanland Tag für Tag mit Füßen getreten werden.
📚 Weiterführende Literatur und Links
- B’Tselem – Israeli Information Center for Human Rights in the Occupied Territories
- Human Rights Watch – Israel/Palestine Reports
- UNISPAL – United Nations Information System on the Question of Palestine
- UNOCHA – Occupied Palestinian Territory Humanitarian Information
- Amnesty International – Israel and the Occupied Palestinian Territories
- Al Jazeera – Middle East News
- The Guardian – Israel/Palestine News